Im Febuar 2021 versuchte die damals 27-jährige M.M., sich in Moria aus größter Verzweiflung selbst zu verbrennen. Daraufhin wurde sie wegen Brandstiftung und Gefährdung anderer Personen angeklagt. Am 8. Februar 2023 wurde sie schließlich zu einer 15-monatigen Bewährungsstrafe wegen vorsätzlicher Brandstiftug und Beschädigung fremden Eigentums verurteilt.

Dass das griechische Gericht die Tat nicht als Selbstverletzung wertete (die straffrei ist), ist ein Skandal. Wir sind entsetzt, dass es keinen Freispruch gab und die menschenverachtenden Zustände an den EU-Außengrenzen und ihren Lagern in dem Urteil eine Fortsetzung finden.

Im Statement der Initiativen CPT Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can’t evict Solidarity vom 09.02.2023 wird der Hintergrund der Ereignisse beschrieben:

Die Situation im Camp war im Winter 2020/21 katastrophal. Der Platz dicht am Meer ist zum Leben vollkommen ungeeignet: Die Zelte brechen durch starken Wind und heftigem Regen immer wieder zusammen oder werden überflutet. Es mangelt an medizinischer Versorgung, Privatsphäre, Strom, fließendem Wasser, heißen Duschen, funktionierenden Toiletten und anderen Hygieneeinrichtungen.

Am 21. Februar 2021, 27 Jahre alt, im 8. Monat schwanger mit ihrem vierten Kind und seit 14 Monaten in den Camps auf Lesvos, erfährt M.M., dass die Umsiedlung ihrer Familie aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft verschoben wird. Sie weiß, dass sie nach der Geburt ins Zelt zurückkehren, vor einer chemischen Toilette Schlange stehen und in der Kälte am Meer stillen wird. Sie lässt ihre Kinder bei den Nachbarn, setzt sich in die Mitte ihres Zeltes und zündet sich an.

Die benachbarten Bewohner:innen im Camp retteten sie aus dem brennenden Zelt und löschten das Feuer mit Wasserflaschen und Handtüchern. M.M. wird mit schweren Verbrennungen in ein Krankenhaus gebracht und dort direkt von der Polizei verhört und wie eine Verbrecherin behandelt. Unglaublich: Anstatt der traumatisierten Familie Hilfe und psychologische Betreuung zu bieten, wurde M.M. nach dem Vorfall angeklagt.

Ihre Anwältin weist darauf hin, dass eine schwangere Frau zur schutzbedürftigen Personengruppe gehört, daher hätte M.M. in eine geeignete Unterkunft verlegt werden müssen. Der griechische Staat hat bereits mehrere derartige Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof verloren.

Die Familie konnte mit ihren mittlerweile vier Kindern (im Alter von fast 2, 3, 6 und 8 Jahren) nach einem entsprechenden Antrag ihrer Anwältin inzwischen nach Deutschland umziehen. M.M. ist immer noch stark traumatisiert und die ganze Familie leidet massiv unter der Anklage. Wir sind froh, dass M.M. an diesem Prozess nicht persönlich teilnahm.
Für M.M. bringt das Urteil zwar ein wenig Erleichterung, da sie sich jetzt nicht mehr regelmäßig bei der griechischen Botschaft melden muss.

Die Verurteilung von M.M. wegen ihres Selbstmordversuchs, der nach dem griechischen Strafgesetzbuch nicht strafbar ist und nun brutal als vorsätzliche Brandstiftung eingestuft wurde, ist dennoch als erneute Eskalation der Kriminalisierung von Schutzsuchenden zu werten. Damit soll vor allem von der Verantwortung des griechischen Staates und der EU, angemessene Lebensbedingungen für schutzsuchende Menschen zu gewährleisten, abgelenkt werden.