Für die Klient:innen unseres psychosozialen Versorgungszentrums für Geflüchtete gehören Krisen zu ihrem Alltag. Die Menschen, die zu uns kommen, haben Krieg, Verfolgung, körperliche und seelische Gewalt erlebt und leiden unter den Folgen dieser Erlebnisse. Insofern war und ist die Corona-Krise insbesondere während des Lockdowns für sie aber auch für uns als Einrichtung und uns Mitarbeitende eine weitere Herausforderung im ohnehin oft mehr als herausfordernden Alltag. Denn unsere Arbeit als Therapeut:innen und Sozialberater:innen lebt vom persönlichen Kontakt, über den wir gegenseitiges Vertrauen aufbauen. In den meisten Fällen finden die Sitzungen und Gespräche zusammen mit Dolmetscher:innen statt. Nun sollten aber aus Infektionsschutzgründen alle direkten Kontakte außer in Notfällen unterbleiben, Mitarbeiter:innen sollten nach Möglichkeit von zu Hause aus arbeiten. Nach anfänglicher Lähmung angesichts der scheinbaren Unvereinbarkeit der Corona-Regeln mit unserem Angebot und der darauffolgenden Skepsis bezüglich der Nutzung neuer, insbesondere digitaler Kommunikationsmethoden, entwickelten wir so etwas wie einen Forschergeist und damit neue Vorgehensweisen.

Vorgehen Nummer 1: Der erste Ansatz lag auf der Hand: Bei gutem Wetter in der Sitzgruppe mit Dolmetscher:in oder beim Spazierengehen im Park fanden fruchtbare Gespräche statt. Allein der Akt des Sich-nach-draußen-Bewegens, die Ortsveränderung und auch die veränderten Sinneswahrnehmungen in der Natur hatten eine therapeutische Wirkung. Das funktionierte schon mal gut, war aber nicht für jede Person und Konstellation geeignet: Manche fühlten sich draußen zu exponiert oder beobachtet, andere trauten sich nicht die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, mussten ihre Kinder wegen der geschlossenen Kitas und Schulen ganztags selbst betreuen oder aber das ganze Heim war wegen einzelner Erkrankter für Wochen unter Quarantäne gestellt.

Vorgehen Nummer 2: Also versuchten wir es – scheinbar einfach – mit Videokonferenzen:  Therapeut:in bzw. Sozialarbeiter:in, Dolmetscher:in und Klient:in blieben zu Hause und kommunizierten mithilfe eines geeigneten Videokonferenz-Tools miteinander. Doch konventionelle Tools fielen aus Datenschutzgründen flach. Wie gut, dass es speziell für den medizinischen Bereich durch die Kassenärztliche Vereinigung zertifizierte Programme gibt, die nachweislich datensicher sind. Die Freude währte nicht lange, zu instabil war die Technik. Kaum ein Gespräch verging, bei dem nicht die Verbindung zusammenbrach, einer der Gesprächspartner nicht hörbar war, die anderen nicht sichtbar oder ähnliches. Durch das gemeinsame Bemühen um einen stabilen Kontakt und die Erfolgserlebnisse, wenn es klappte, wirkten sich positiv auf die Beziehung aus, brachten uns näher.

Vorgehen Nummer 3: Mit dem Andauern der Pandemie tauchte immer öfter die Konstellation auf, dass Klient:innen Sehnsucht hatten nach dem persönlichen Kontakt inmitten all der Isolation, aber auch nach der Einrichtung, in der sie sich wohlfühlten, der sie vertrauten. Einige Dolmetscher:innen wollten hingegen direkten Kontakt vermeiden und von zu Hause aus arbeiten. Warum eigentlich nicht. Das bringt uns fast zurück zur klassischen Dyade: Therapeut:in und Klient:in sitzen einander gegenüber, die dolmetschende Person ist unsichtbar im Handy verborgen, das auf dem Tisch in der Mitte liegt. Organisatorisch und technisch erwies sich diese Art der Kommunikation als relativ einfach umsetzbar. Für Dolmetschende ist die Arbeit jedoch erschwert. Haben sie doch keinerlei nonverbale Hinweise, sehen nicht die Gesten oder Mimik und können diese folgerichtig nicht mit dolmetschen.

Vorgehen Nummer 4: Wenn sich die Konstellation ergab, dass ein:e Klient:in zuhause war und Therapeut:in und Dolmetscher:in vor Ort, konnten wir dank der Anschaffung mehrerer Luftfilter und mit Sicherheitsabstand in einem ausreichend großen und gut gelüfteten Raum gemeinsam in die Videokonferenz gehen und zusammen im Bild erscheinen. Erstaunlicherweise gab es hier wesentlich weniger technische Probleme, als bei Strategie 1, bei der sich alle drei Beteiligten an unterschiedlichen Orten befanden.

Vorgehen Nummer 5: Wir griffen auf die gute „alte“ Telefonkonferenz zurück. Denn bei unseren Klient:innen ist ein Handy eigentlich immer vorhanden, nicht jedoch ausreichend gutes Internet und Datenvolumen. Die Einwahl in eine Telefonkonferenz ist erstaunlich leicht. Doch: Es benötigt gutes Zuhören, eine Fähigkeit, die uns vor lauter Stress oft abhandenkommt. Wir haben dabei alle besser gelernt, gut zuzuhören und auf die anderen Gesprächsteilnehmer:innen zu achten. Und wenn dann trotzdem wieder alle gleichzeitig ansetzen zu sprechen, ist das immer für einen Lacher gut und dies sorgt wiederum für eine entspannte Atmosphäre. Entspannt an Telefonkonferenzen ist für mich persönlich zudem, dass ich gerade im Homeoffice nicht darauf achten muss, wo ich sitze, wie der Hintergrund aussieht, ob das eine oder andere Kind durchs Bild flitzt.

Neben den vielen negativen Folgen der Covid-19 Pandemie haben wir viel gelernt und ausprobiert: Wir haben eingefahrene Gleise verlassen, sind kreativ geworden, mussten kurzfristig entscheiden statt für alles langfristige Pläne und Termine zu haben. Das ist manchmal sehr anstrengend, aber hat auch das Potential für Erfolgserlebnisse, wenn ein Versuch gelingt, wenn wir durch Ausprobieren auf eine neue Möglichkeit stoßen, unser Angebot zu erweitern und unsere Klient:innen weiterhin gut zu versorgen.