Berlin, 19. August 2021 – Für die aktuelle Situation in Afghanistan muss politische Verantwortung getragen werden, indem legale und sichere Fluchtwege sowie humanitäre Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern umgehend eingerichtet werden. Als psychosoziales Zentrum machen wir auf die drastische Versorgungslage von afghanischen Geflüchteten in Berlin aufmerksam und fordern eine verstärkte Förderung psychosozialer Angebote.

Krisenintervention vor Ort – Zur katastrophalen Versorgungssituation in Berlin

Die dramatische Situation in Afghanistan hat auch viele Menschen, die in den letzten Jahren bereits aus der Region hierher geflüchtet sind, in psychische Krisen gestürzt. Die unmittelbare Gefährdung des Lebens ihrer Angehörigen, die beängstigenden Nachrichten aus den Medien und der meist unmögliche Kontakt zu Familienangehörigen sind für viele kaum ertragbar. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Afghanistan suchen aktuell verzweifelt nach Hilfe und werden von unseren Therapeut:innen, Berater:innen, Mentor:innen, Vormund:innen und Projektmitarbeiter:innen betreut. Doch der sprunghaft gestiegene Bedarf nach psychosozialer Unterstützung und Versorgung, der sich angesichts der politischen Lage in Afghanistan voraussichtlich lange hinziehen wird, ist aus den Ressourcen und Kräften unserer sozialarbeiterischen und therapeutischen Angebote nicht mehr zu stemmen. Diese Situation betrifft unseres Wissens nach auch andere psychosoziale Versorgungszentren.

Janina Meyeringh: „Es ist wirklich schwer, den vielen Jugendlichen, die aktuell vor dem Hintergrund der Geschehnisse und den realen Ängsten um ihre Familien in Afghanistan um therapeutische Krisentermine bitten, Mut zu machen. Sie stellen die berechtigte Frage: „Warum lässt die Welt so etwas zu?“  Es ist erschütternd, den vielen jungen Frauen und Mädchen gegenüber zu sitzen, die nicht aufhören können, um ihr Land, die Frauen und Mädchen vor Ort, zu weinen. Es ist schwer aushaltbar mitanzusehen, wie Jugendliche, die schrecklichste von Menschenhand gemachte Traumata überlebt und bewältigt haben, aktuell wieder zusammenbrechen, nicht mehr wissen, wofür sie kämpfen sollen.“

Aufnahmeprogramm ist Menschenrecht

Nicht nur Ortskräfte der Bundeswehr und Menschenrechtsaktivist:innen wollen das Land verlassen, sondern auch Teile der Zivilbevölkerung, deren Leben, Freiheit und Existenz durch das Taliban-Regime unmittelbar bedroht ist. Es besteht eine politische und humanitäre Verantwortung, diesen Menschen sichere Fluchtwege und ihr Grundrecht auf Asyl zu gewährleisten und ihnen die lebensgefährlichen illegalisierten Fluchtwege zu ersparen. Dazu sind Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern, ähnlich wie sie für syrische Geflüchtete 2013 ins Leben gerufen worden sind, unbedingt notwendig. Es braucht legale Fluchtwege für alle, die jetzt auf das Flughafengelände in Kabul drängen, ebenso für diejenigen, die in und über die Nachbarländer geflohen sind und fliehen werden.

Wir fordern daher:

  • Die laufenden Evakuierungen über den Luftkorridor müssen ausgeweitet werden auf alle Schutzsuchenden vor Ort.
  • Geflüchtete aus Afghanistan müssen schnell und unbürokratisch aufgenommen werden.
  • Anträge auf Familiennachzug müssen von allen deutschen Auslandsvertretungen zügig bearbeitet und gewährleistet werden.
  • Die Einrichtung eines Aufnahmeprogramms gemäß §23 AufenthG zugunsten von besonders schutzbedürftigen Personen muss umgehend eingerichtet und ein humanitäres Selbsteintrittsrecht gewährleistet werden.
  • Humanitäres Bleiberecht statt Kettenduldungen für ausreisepflichtige Afghan:innen.
  • Die Entfristung des bereits lange fälligen Abschiebeverbots für Afghan:innen sowie die Gewährung von dauerhaften Aufenthaltstiteln und langfristigen Perspektiven in Deutschland.
  • Einen nachhaltigen Ausbau und finanzielle Unterstützung von psychosozialen Anlaufstellen hier. Konkret: Kurzfristige finanzielle Aufstockung der psychosozialen Zentren zur Umsetzung dringend notwendiger therapeutischer Kriseninterventionen sowie unterstützender Beratungsangebote

Über XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.

XENION e. V. besteht seit 1986 als psychosoziales Behandlungszentrum für traumatisierte Geflüchtete sowie Opfer von Folter, Krieg und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen. Ihre Familien finden bei uns ebenfalls Unterstützung. Als politisch und religiös unabhängige, nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation haben wir uns ein klares Ziel gesetzt: Wir bieten geflüchteten Menschen Schutz, professionelle psychotherapeutische Hilfe, soziale Beratung und Begleitung.

Pressekontakt:

Vanessa Höse // Telefon: +49-(0)-177-6295142 // E-Mail: vanessa.hoese@xenion.org, presse@xenion.org

Interviews mit XENION-Therapeut:innen und Berater:innen vermitteln wir gerne auf Anfrage.

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