Am Donnerstag, den 29.06.2023 Uhr, finden die nächsten und abschließenden Chefgespräche zum Senatsentwurf des ASGIVA Etats im neuen Haushalt, aber auch des Integrationsfonds im Hause des Finanzsenators statt. Hier sind massive Kürzungen zu erwarten. Im ursprünglichen Entwurf des Integrationsfonds stehen 6,9 Mio €.  Das wären Kürzungen um um 43%.

Aus diesem Grund haben sich verschiedene Akteur:innen zur Initiative „Integrationsfonds retten“ zusammengeschlossen und Briefe an den Senator Stefan Evers und die Staatssekretärin Tanja Mildenberger geschrieben. Im Folgenden teilen wir den Brief, der auch auf die Gefährdung der Bereiche der Aufsuchenden Arbeit und des Projekts „Wohnraum für Geflüchtete“ bei XENION hinweist.

***

Sehr geehrter Senator Stefan Evers, sehr geehrte Staatssekretärin Tanja Mildenberger,

Wir haben erfahren, dass der Entwurf des neuen Landeshaushalts Ihres Hauses die Kürzung anstatt einer Erhöhung des bezirklichen Integrationsfonds vorsieht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir möchten Sie nachdrücklich auffordern, sich an Ihre Vereinbarungen zu halten, diese Vorschläge zurückzuziehen und den Fonds auszubauen! 

2023 standen den Bezirken in den Integrationsfonds rund 12,1 Mio. zur Verfügung, Mittel, die durch den Krieg in der Ukraine mehr als notwendig waren und sind. Ihre Planung würde eine Kürzung um 43% bedeuten!

Diese Kürzung schadet nicht nur zugewanderten oder geflüchteten Menschen, sondern der ganzen Berliner Bevölkerung. Der Integrationsfonds ermöglicht, gezielt Problemlagen vor Ort zu adressieren, und Eigeninitiativen zu unterstützen. Er erlaubt migrantischen Initiativen, Beratungs- und Begegnungsinitiativen ihr Wirken für die Zivilgesellschaft. Er schließt Lücken, wo staatliche Regelsysteme nicht greifen, dient als Brückenbauer und Ressource, kurzfristig und niederschwellig, auf neue Herausforderungen zu reagieren. Oft arbeiten hier neben zahlreichen ehrenamtlichen Berliner:innen selbst geflüchtete Menschen als Leuchttürme und Mutmacher:innen. Die Mittel des Integrationsfonds hebeln ein Vielfaches der eingesetzten Mittel durch die Mobilisierung von Ehrenamtlicher Tätigkeit.   Diese Mittel sind notwendig um gerade in den Außenbezirken und rund um Aufnahmeeinrichtungen die sozialen Spannungen nicht weiter zu eskalieren

Die Kriege und Krisen halten an, die Zugangszahlen steigen, tausende Kinder sind unbeschult, das Klima vor allem in den Außenbezirken spitzt sich zu. Dies ist die teuerste Art zu sparen!

Die Kürzung des bezirklichen Integrationsfonds würde Spätfolgen einer nicht erfolgreichen Integration verursachen, die sehr viel höher sind, als die einer proaktiven Integrationspolitik. Hier werden unter anderem viele der Kinder und Menschen, die ansonsten keinen Sprachkurs oder Schulplatz haben, unterrichtet, in die Regelsysteme begleitet und in Fragen der Integration beraten. Dies geschieht mit einem Engagement von zusätzlicher Ehrenamtlichkeit, das jeden Euro um ein Vielfaches wertvoller macht.

Viele dieser Initiativen müssten ihre erfolgreiche Arbeit einstellen, oder zumindest deutlich einschränken. Das vor Ort wirksame Netzwerk, das die ersten Schritte der Integration erfolgreich begleitet, würde zerstört.

XENION ist ein Behandlungs- und Beratungszentrum, das seit 1986 traumatisierte geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch Therapien, Beratung, Vormundschaften und eine ehrenamtliche Alltagbegleitung unterstützt.

Der Integrationsfonds im Bezirk Steglitz-Zehlendorf fördert seit mehreren Jahren unsere Aufsuchende Arbeit in den Unterbringungseinrichtungen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Das Netzwerk der Aufsuchenden Arbeit leistet seit 2015 mit 35 Psychotherapeut:innen einen wesentlichen Beitrag zur Identifikation besonders schutzbedürftiger Geflüchteter in Wohnheimen. Mit über 3000 Arbeitsstunden/Jahr verteilt auf psychologische Sprechstunden, niedrigschwellige Gruppenpsychotherapie sowie transkulturelle Psychotherapien in den Praxen der Kolleg:innen des Netzwerkes haben wir konkret, direkt und unkompliziert Geflüchtete, die Opfer von Krieg, Gewalt, Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen identifiziert, professionell psychologisch/psychiatrisch/psychosozial versorgt und auf diese Weise einen wesentlichen Beitrag zur psychischen Gesundung dieser Menschen geleistet. Fällt dieses Angebot für Bewohner:innen in Flüchtlingsunterkünften weg, werden diese Menschen zeitnah nicht versorgt; eine Chronifizierung der psychischen Störungsbilder im Zuge von Traumafolgestörungen ist wahrscheinlich. Dies zieht eine langwierige, kostenintensive Behandlung durch die Grundregelversorgung nach sich und dauert Jahre. Ohne psychische Gesundheit keine Integration! Die negativen gesellschaftspolitischen Folgen liegen auf der Hand.

Darüber hinaus finanziert der Integrationsfonds unser Projekt „Wohnraum für besonders schutzbedürftige Geflüchtete- Beratung und gemeinschaftliche Neubauprojekte“. Durch das Projekt konnten in den letzten Jahren insgesamt über 200 geflüchtete Menschen in eigene Wohnungen vermittelt, vier Kooperationsprojekte mit genossenschaftlichen Gemeinschaftswohnprojekten umgesetzt und weitere initiiert werden. Jährlich erhalten ca. 300 Geflüchtete Beratungen zu Wohnraumsuche und Hilfen beim Bezug einer Wohnung und bei der Kommunikation mit Vermieter:innen und Ämtern. Zahlreiche Kündigungen konnten so abgewendet werden. Das Projektteam pflegt langjährige Kontakte zu anderen Beratungsstellen und Initiativen sowie zu Vertreter:innen von Politik, Wohnungswirtschaft und Genossenschaften, hat in Berlin Netzwerktreffen initiiert und entwickelt in verschiedenen Gremien Handlungsempfehlungen für die Politik. Die Arbeit von „Wohnraum für Geflüchtete“ ist inzwischen berlinweit bekannt und gilt bei Vertreter:innen von Genossenschaften und Politik als Best practice-Beispiel.

Die psychische Stabilisierung, das Ankommen und die gesellschaftliche Integration geflüchteter Menschen ist in starkem Maße von einem eigenen Zuhause abhängig. Eine Wohnung zu finden und zu halten, ist für die meisten jedoch ohne fachkundige Unterstützung, wie sie im Rahmen des Projekts „Wohnraum für Geflüchtete“ geleistet wird, kaum möglich.

Eine Kürzung des Integrationsfonds im geplanten Umfang und die Beschneidung unseres Beratungsangebots und der Wohnraumakquise hätte den Verbleib vieler Geflüchteter aus Steglitz-Zehlendorf in Unterbringungseinrichtungen mit Konsequenzen im Hinblick auf ihre Integration und psychische Stabilisierung zur Folge. Die Netzwerkarbeit im Bezirk und laufende Kooperationen mit Gemeinschaftswohnprojekten müssten eingestellt werden.

Wir wissen um die schwierige Haushaltslage, sehen in einer Kürzung der Mittel hier jedoch eine große Gefahr und fordern einen dauerhaften bezirklichen Fonds als Mittel zur Verstetigung und die Anhebung des geplanten Etats mindestens auf das ursprüngliche Niveau von 12 Mio €. 

Der Fonds dient dazu, die Partizipation und Selbstwirksamkeit von Menschen mit Migrationserfahrung zu stärken. Gerade in Anbetracht der hohen Zugangszahlen und der vielen Menschen, die im vergangenen Jahr in unsere Stadt gekommen sind, sind sie notwendig, um die Basis für einen nachhaltigen zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort zu schaffen.

Mit freundlichem Gruß und Dank für Ihre Unterstützung,

Jonas Stocker, Geschäftsleitung