Was ist deine Arbeit bei Xenion und wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Meine Kernaufgabe ist die Psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Dadurch, dass ich noch die Koordinationsaufgabe habe für den Kinder- und Jugendbereich, habe ich zusätzlich noch viele Organisationsaufgaben. Zusätzlich zu der psychotherapeutischen Arbeit kommen dann noch Aufgaben dazu, wie Anträge stellen, sicherstellen, dass die Gelder da sind, damit wir unsere Arbeit machen können. Meine Hauptaufgabe ist also die Therapie und dazu kommen die Hintergrundaufgaben, damit wir hier überhaupt arbeiten können. Ich muss darauf gucken: Wie sind die Stellen meiner Kolleg*innen finanziert? Müssen wir irgendwo wieder Anträge stellen? Das ist bei mir einfach ein bisschen anders als bei meinen Kolleg*innen, die rein therapeutische Arbeit machen.

Und wie werden die Therapien überhaupt finanziert? Läuft das über die Krankenkasse?

Es ist so, dass es mit der Aufenthaltsdauer und dem Stand im Asylverfahren zusammenhängt, ob jemand in die Regelversorgung fällt und somit über die Krankenkasse abrechnen kann. Xenion ist sowieso eher eine Anlaufstelle für Menschen, die aus der Regelversorgung rausfallen. Wir sind hier bei Xenion auch keine niedergelassenen Psychotherapeuten, das heißt, dass wir haben hier keinen Kassensitz haben. Das, was Xenion abdeckt, sind die Menschen, die z.B. ganz neu in Deutschland sind und wie gesagt aus der Regelversorgung herausfallen.

Über die Regelversorgung können wir unsere Therapien bei Xenion nur finanzieren über das Kinder-und-Jugend-Hilfe-Gesetz. Das heißt als KJHG Therapie. Der Unterschied zwischen KJHG-Therapien und Krankenkassen-Therapien ist eigentlich, dass bei KJHG-Therapien viel mehr Bezugspersonenarbeit mit drin ist und sehr viel mehr extra Vernetzungsarbeit, die bei einer reinen Krankenkassentherapie gar nicht abrechenbar ist.
Wir versuchen hier fast alle Fälle als KJHG-Therapien zu beantragen. Das läuft dann so, dass der kinder- und jugendpsychiatrische Dienst sich die Kinder erst selber angucken muss und entscheiden muss: Besteht da Therapiebedarf oder nicht? Dann können wir mit der Diagnostik weitermachen, müssen einen Kosten- und Behandlungsplan erstellen, der dann wieder an den jugendpsychiatrischen Dienst geschickt wird. Die wenden sich dann wiederum ans Jugendamt und sprechen im Idealfall die Empfehlung aus, die Kosten zu übernehmen.
Dann haben wir eine Kostenzusage und können die Therapie beginnen.
Das ist aber natürlich teilweise problematisch, weil das Jugendamt dann manchmal sagt: „Warum reicht denn da keine Krankenkassentherapie?“, da die Ämter Kosten sparen wollen. Das ist das erste Problem und das zweite Problem ist, dass die Bearbeitungswege unheimlich lange dauern.
Für die letzten zwei Jahre haben wir im Schnitt sechs bis acht Monate auf eine Kostenzusage gewartet.

Könnt ihr dann in diesem Zeitraum therapieren oder nicht?

Das machen wir, aber dafür müssen wir in Vorleistung gehen. Da wir so häufig in Vorleistung gehen, damit wir therapieren können, brauchen wir Zuwendungsgeber. Sonst könnten wir unsere Arbeit hier gar nicht machen. Zum Glück ändert sich politisch gerade relativ viel, es werden seit diesem Jahr neue Strukturen geschaffen. Es bleibt spannend, ob das jetzt auch umgesetzt wird und ob das in der Realität auch wirklich Erfolg bringt, aber bisher war es so, dass wir wirklich sehr lange Zeit überbrücken mussten.
Das mit der KJHG-Therapie klappt bei den unbegleiteten Minderjährigen sehr gut, weil sie sowieso in der Jugendhilfe sind, also das müssen sie ja auch sein, da sie in Obhut genommen sind. Sie leben in der Regel in Jugendhilfeeinrichtungen und das Jugendamt ist dran. Da klappt das super gut. Bei begleiteten Kindern und Jugendlichen ist das total schwierig. Sie leben in irgendwelchen Unterkünften und die Eltern haben Angst vorm Jugendamt. Da ist es so, dass wir ganz selten KJHG-Therapien durchkriegen bzw. nach einer ganz langen Anlaufzeit und super viel Arbeit. Die Therapien für die begleiteten Kinder und Jugendlichen laufen bei uns ganz viel über die Fördergeber, also über Spendengelder.
Es gibt auch eine Kooperation mit dem Gesundheitszentrum. Das ist eine gemeinsame gGmbH von Xenion und dem Psychiatrieverband Berlin-Brandenburg. Im Gesundheitszentrum haben wir die Ermächtigung, über die Krankenkasse abrechnen zu können. Und da ich mit einem Stellenanteil beim Gesundheitszentrum bin, schauen wir, dass wir die Fälle, die auf der Warteliste sind, mit ins Gesundheitszentrum nehmen und über die Krankenkasse abrechnen lassen. Unser Anspruch ist, dass jede*r die/der kommt auch behandelt wird, wenn auch mit Wartezeit, da wir ja auch nur eine bestimmte Zahl von Plätzen haben. Dann müssen wir halt drumherum basteln, damit wir das hinkriegen.

Was motiviert dich am meisten an deiner Arbeit und was macht die Arbeit für dich sinnvoll?

Es ist einmal die Dankbarkeit: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die hierher kommen, alle extrem dankbar sind für die Hilfe und die Zeit. Sie wollen alle mitarbeiten und nehmen jeden Ratschlag total dankbar an und versuchen ihn sofort umzusetzen. Ich habe vorher 10 Jahre in einer Psychiatrie gearbeitet und ich finde es ist der größte Unterschied: Ich glaube das liegt auch daran, dass man gerade in der Psychiatrie ja nicht immer freiwillig ist. Ein Problembewusstsein ist auch oft weniger da und das ist ein ganz anderes Arbeiten. Ich habe das auch sehr gerne gemacht, ich sage nicht, dass die Menschen da weniger dankbar sind. Aber anders. Das ist bei der Arbeit mit Geflüchteten schon anders, weil ich denke, dass die Menschen, die zu uns kommen, etwas wollen. Sie wollen irgendwie vorankommen, sie wollen Hilfe und das merkt man total.
Das ist das eine und das andere ist, dass ich fast immer meinen Patient*innen gegenüber sitze und mir denke „was seid ihr für tolle Menschen, was bin ich stolz auf euch und was ist das für eine Ehre mit euch zu arbeiten“. Ich denke so oft darüber nach und weiß nicht wie ich das geschafft hätte, wenn ich das in deren Alter alles hätte durchmachen müssen. Ich habe wirklich so eine Ehrfurcht vor den Menschen und vor dem, was sie täglich leisten, und es macht mich stolz mit ihnen arbeiten zu können. Ich finde, das sind alles Überlebenskünstler und da sind viel mehr Stärken als Schwächen. Das den Menschen wieder widerzuspiegeln, ihnen zu zeigen: Ihr seid nicht schwach oder krank, guckt was ihr hier alles schafft. Tagtäglich. Das ist total schön. Das macht es sehr, sehr, sehr sinnvoll!

Gab es besonders berührende Situationen für dich?

Es gibt eine Situation, die ich nie vergessen werde. Da habe ich lange mit einer Familie gearbeitet und es ging darum zu vermeiden, dass sie umverteilt werden.
Wir haben echt Alles versucht und haben es leider nicht geschafft.
Die Familie kam und wir mussten denen sagen, dass sie jetzt eben gehen müssen und ich musste mich von ihnen verabschieden. Ich fand das so schlimm und habe mich so schlecht gefühlt. Da kam der Vater zu mir und meinte, ich müsse mich doch überhaupt nicht schlecht fühlen, denn ich sei der erste Mensch gewesen, der ihnen geholfen hätte. Dass ich jetzt auch noch mitfühlen würde, würde ihnen mehr bedeuten als alles andere. Da wäre die Umverteilung nichts gegen.
Sowas nehme ich dann auch mit, auch wenn wir Misserfolge haben. Und wir haben verdammt oft Misserfolge. Aber trotzdem erlebe ich die Menschen als so dankbar, dass wir es versucht haben und an ihrer Seite sind.

Was müsste sich politisch ändern, dass du deine Arbeit einfacher machen kannst?

Also noch mal zur Finanzierung: Wenn wir nicht so viel Zeit damit verbringen müssten die finanziellen Aspekte zu klären, dann könnten wir natürlich viel mehr behandeln. Es ist absurd wie viel Zeit wir damit verbringen müssen überhaupt eine Kostenübernahme zu bekommen. Wenn es da bessere Strukturen gäbe, könnten wir mit Sicherheit mehr behandeln.
Das macht mich wirklich richtig wütend. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die sich noch in einer stetigen Entwicklung befinden und wo gerade Störungen in der Entwicklung so gravierende Auswirkungen auf das ganze Leben haben können, finde ich es wirklich fatal, dass da politisch so wenig gemacht wird, dass gerade diese Menschen die schwere Traumata hinter sich haben, die Flucht hinter sich haben, Beziehungsabbrüche hinter sich haben, mit massiven Belastungen zu kämpfen haben. Dass es da so wenig vom Staat geförderte Möglichkeiten gibt rechtzeitig, unmittelbar therapeutisch zu arbeiten, macht mich wirklich oft richtig wütend.
Ich denke: Gerade für diese Gruppe von Menschen hat das so einschneidende Auswirkungen, wenn eben zu spät behandelt wird. Ich sehe das so oft, dass Störungen total weit chronifiziert sind. Es macht einfach einen riesigen Unterschied, ob man akut behandeln kann. Es macht einen Unterschied in der Dauer der Behandlung und in allem anderen auch. Ich finde da ist auch die Politik wirklich in der Pflicht psychosoziale Zentren wie Xenion zu finanzieren, damit wir hier unsere Arbeit machen können. Damit eben keine langfristigen Folgen auftauchen, wo dann die gesellschaftlichen Kosten viel höher sind im Endeffekt.
Warum muss es überhaupt so weit eskalieren, bis dann die Hilfen kommen?
Das ist auch ein riesiges Dilemma bei den Jugendämtern, weil die auch so beschnitten sind in ihren finanziellen Möglichkeiten und sie oft erst Hilfe reinschicken, wenn es total akut oder schon zu spät ist. Das ist echt ein Drama. Und da müsste die Politik definitiv mehr machen.
Also wir müssen für jede Therapie kämpfen, wir haben einen riesigen Vernetzungsaufwand und im Endeffekt können wir dadurch weniger behandeln und weniger arbeiten. Ich habe Kolleg*innen, die gerne mehr arbeiten würden, was aber einfach nicht möglich ist, weil uns schlicht die Finanzierung fehlt.
Hätten wir eine sichere Finanzierung, nicht immer nur von Jahr zu Jahr, könnten wir uns ganz anders aufstellen.
Es ist wirklich ein Drama: Wir haben ganz lange Wartelisten und teilweise ist es dann so, dass jemand in der Wartezeit dann andere Wege findet mit den Problemen umzugehen, wie Alkohol oder Drogen. Dann ruft da jemand an, der schwerst traumatisiert ist und ich muss auflegen in dem Wissen, das könnte jetzt das kleine Fensterchen sein, das sich geöffnet hat. Und wenn dann ein Platz frei ist, kann es sein, dass das wieder zu ist. Das ist einfach ein Drama.
Wenn wir mehr Leute einstellen könnten oder wir mehr Stunden anbieten könnten, dann könnten wir natürlich auch mehr behandeln.