Welche Position hast du bei XENION, was ist deine Arbeit?

Ich bin Alexandra Schulz und mache die Koordination für die „Aufsuchende Arbeit“. Da geht es um die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten direkt in den Unterkünften. Wir arbeiten mit einem Netzwerk von 32 Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen, die ehrenamtlich jede Woche psychologische Sprechstunden, niedrigschwellige Gesprächskreise und Kunsttherapie für Kinder/Jugendliche und Erwachsene anbieten. Hinzu kommt das Angebot einer asyl- und verfahrensrechtlichen Sprechstunde durch 2 unserer hauptamtlichen Sozialarbeiter von XENION. Außerdem werden aus diesem Kreis Psychotherapien in die Praxen des Netzwerkes vermittelt.

Ich selbst bin Psychotherapeutin (HP), Integrative Gestalttherapeutin, Körperpsychotherapeutin und habe mich auf Traumatherapie und Tiefenpsychologie spezialisiert. Für XENION arbeite ich in Teilzeit und habe noch eine eigene Praxis.

 

Was hat dich bis jetzt an deiner Arbeit am meisten berührt?

Ich habe größten Respekt vor den Menschen unserer Zielgruppe, die Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen geworden sind, die Gewalt, Krieg bis hin zu Folter erlebt haben. Die Biografien sind teilweise unfassbar, man könnte aus fast jeder Biografie einen Film drehen, wenn man wollte. Da frage ich mich immer: „Wie haben die das nur geschafft? Überhaupt den Willen zu haben hier anzukommen und ein gutes Leben zu führen? Wie unglaublich stark müssen sie sein?“

Neben Entlastungs- und Stabilisierungsgesprächen sind wir in den Psychotherapien oder Sprechstunden auf der Suche nach ihren individuellen Ressourcen.  So kann es sein, dass man sich physisch Tee-trinkend mit dem/der Klient*in zwar in Berlin befindet, mental aber möglicherweise an einem Lieblingsort z. B. einem Rosengarten in Afghanistan, der liebevoll gehegt und gepflegt wurde. Die Ressourcenstärkung ist ein wesentlicher Baustein im Prozess der Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen. So wird man nicht selten „Zeuge“ des Lebens im Heimatland, welches die Person aufgeben musste. Die meisten meiner Gesprächspartner*innen vermissen ihr Heimatland, Freunde, Familie, ihre Kultur und fühlen sich in Deutschland erst einmal „ohne Wurzeln“.

Gleichermaßen berührt mich, wenn nach längerer Zeit, das kann nach ein oder auch zwei, drei Jahren sein, der Klient „seinen/ihren Weg“ geht und dann tatsächlich „zarte Wurzeln“ in Berlin geschlagen hat. Da macht sich bei mir eine riesige, unbändige Freude breit!

 

 

Was müsste politisch passieren, damit eure Arbeit als psychosoziales Zentrum erleichtert wird?

Das wäre ein Zusammenspiel von verschiedenen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Themen sowie die Einbettung in die Grundregelversorgung, bei der wir als Fachstelle nicht integriert sind.

Eigentlich geht es noch weiter: nehmen wir mal als Beispiel das Drama auf den griechischen Inseln, welches ein Totalversagen der europäischen Union darstellt.

Es gelingt nicht, die Kinder und Jugendlichen aus diesem komplett überfüllten Lager zu holen. Das erscheint mir unmenschlich.

Berlin war schon im Dezember bereit, 70 Minderjährige von den Inseln aufzunehmen, da wir durch Hilfsorganisationen und Fachstellen wie uns die Strukturen und Kapazitäten dazu haben.

Jetzt darf eine verschwindend geringe Anzahl von nur Wenigen nach Berlin kommen. Das ist beschämend!

Das verdeutlicht, dass die EU wie schon seit Jahren keine Lösung für dieses Problem sucht und sich der Gedanke von „nicht-wollen“ aufdrängt.

Weder hinsichtlich der Verteilung der Menschen noch bezüglich menschenwürdigen Lebensbedingungen.

Man lässt Griechenland allein, man lässt Italien allein und dann hat man Resultate wie wir sie im Fernsehen sehen. Man lässt auch die Menschen auf dem Mittelmeer einfach in ihren Booten der Unberechenbarkeit des Mittelmeeres ausgeliefert, das ist einfach unerträglich.

Wir alle sind verbunden mit den geflüchteten Menschen und können mit Ignoranz diese nicht wegretuschieren.

Wir alle haben Glück, dass wir in Deutschland geboren wurden und dieses wirtschaftlich reiche und politisch stabile Land unser Heimatland ist. Aber das könnte auch ganz anders sein. Das war auch einer der Gründe, warum ich diese Arbeit mache. Als vor 5 Jahren die Flüchtlingsunterkunft in Heidenau in Brand gesteckt worden ist, spätestens da habe ich mit meiner Familie gesprochen und gesagt: „Jetzt muss man einfach Position gegen „rechts“ beziehen, das geht gar nicht mehr.“ Ich fände es wünschenswert, wenn mal all diejenigen aufstehen, die von diesem rechten Mob die Nase voll haben. Denn das repräsentiert nicht Deutschland. Ich finde Verantwortung tragen, heißt auch Position beziehen. Das kann schon unbequem sein.

Und noch mal zurück zum Thema sinnstiftend: Der Aufbau und die Weiterentwicklung der Aufsuchenden Arbeit ist eines der sinnstiftendsten Dinge, die ich je in meinem Leben gemacht habe. Wir identifizieren die Menschen in Wohnheimen, die vulnerabel, besonders schutzbedürftig sind und meistens den Anschluss an die von der Gesellschaft gewünschte Integration aufgrund psychischer Belastungen irgendwie am verpassen sind oder zumindest Gefahr laufen, diese zu verpassen.

 

Um auf der politischen Ebene zu bleiben, was müsste denn konkret in der lokalen Politik anders laufen?

Zum Beispiel beim Thema der Gelderverteilung:

XENION ist zuwendungsfinanziert, das heißt unsere Stellen sind finanziert durch Gelder von Hilfsorganisationen, Stiftungsgebern, dem Bund oder dem Senat. Mir fällt auf, dass die Projekte überwiegend auf ein Jahr befristet sind. Das heißt man muss immer im Herbst schon für das nächste Jahr die Finanzierung beantragen und dann im Februar/März den Sachbericht für das Jahr davor schreiben.
Das bindet viel Arbeitskraft. Wenn ein Projekt vernünftig geführt ist, nachhaltig ist und inhaltlich Sinn macht, dann sollte man das doch mindestens auf zwei, besser noch drei Jahre finanzieren. Dann haben auch die Mitarbeiter*innen im Projekt mehr Sicherheit. Ich persönlich bin nicht finanziell auf die Arbeit bei XENION angewiesen, da ich noch eine psychotherapeutische Praxis habe. Aber wenn ich ein junger Mensch mit Familie wäre, der hier voll arbeiten wollte, müsste ich jedes Jahr hoffen, dass das Projekt in einem Jahr noch existiert. Das ist eine Unsicherheit, bei der viele Sozialarbeiter*innen oder Psychotherapeut*innen sagen, dass ihnen das von den existentiellen Rahmenbedingungen her zu kurzfristig ist. Das ist nachvollziehbar.

Es müsste eine bessere Stellensicherheit geben und die nur bei einer längerfristigen Finanzierung möglich ist. Damit würde auch der Verwaltungsaufwand für unsere Fachstelle erheblich sinken, was ich ziemlich wichtig fände.
Außerdem lohnt es sich mal genauer zu untersuchen, wie die Gelder verteilt werden.
So existiert ein Integrationsfond vom Berliner Senat aus, der sein Geld auf die 12 Berliner Bezirke aufteilt. Das geschieht anteilig nach der Zahl der geflüchteten Menschen in den Bezirken. Das ist schon mal richtig und erst einmal sinnvoll. Aber dann entscheidet der Bezirk noch mal ganz anders, welche Projekte gefördert werden und welche nicht. Ich habe in den letzten drei Jahren die Erfahrung gemacht, dass in manchen Bezirken Kleinstprojekte gefördert werden, die mit Antragstellung und Verwaltungsaufwand überfordert sind.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die geförderten Projekte auch tatsächlich den Bedarf der Geflüchteten treffen? Nicht jede gut-gemeinte Idee ist auch umsetzbar und ist dann auch ein sinnvolles Hilfsangebot für Geflüchtete.
Projekte, die schon seit vielen Jahren gut laufen, können nicht weiter entwickelt werden, weil nicht bedarfsgerechte Projekte finanziert werden und dann das Geld für langfristige Projekte fehlt.

Ich würde mir wünschen, dass an der Stelle kritischer hingeschaut würde.
Es wäre auch generell gut, dem Bereich psychische Gesundheit mehr Geld zu geben. Für einen Geflüchteten ist es so gut wie ausgeschlossen in der deutschen Grundregelversorgung einen Therapieplatz zu erhalten um nur ein Beispiel von Vielen zu benennen.

Und in Punkto Gesundheitssystem:

Unsere Zielgruppe der Geflüchteten (vulnerable und besonders Schutzbedürftige), die nirgendwo sonst im Gesundheitssystem ausreichend, vernünftig und adäquat versorgt wird, wendet sich an XENION als Fachstelle in der Hoffnung, bei uns eine sinnvolle und gute Beratung zu erhalten. Das machen wir und wir sind namentlich über Referenzen bekannt unter Geflüchteten.

Von daher wäre es doch sinnvoll zu sagen, dass die psychosozialen Zentren bis zu einem gewissen Prozentsatz Teil der Grundregelversorgung sein könnten. Denn diese Art von Arbeit wird ja von niemandem sonst abgedeckt.
Das ist meiner Meinung nach, ein Fehler im System.
Wenn man psychosoziale Zentren als Teil der Gesundheitsversorgen verstehen würde, wäre damit auch automatisch die Zusammenarbeit mit den psychiatrischen Kliniken enger. Das, was da an Zusammenarbeit besteht, ist selbst erarbeitet und eigentlich nicht im System vorgesehen. Es gibt auch immer noch genug Kliniken, die sagen „ach ein Psychosoziales Zentrum, da sind ja keine Experten und Ärzte.“ Systembedingt ist unsere Fachstelle und auch alle übrigen psychosozialen Zentren nicht im Fokus von Kliniken.
Dass wir aber genau die Arbeit machen, die in der Klinik nicht gemacht werden kann, so z. B. die Kombination von psychosozialer/psychologischer/sozialarbeiterischer Arbeit, die für dieses Klientel so wichtig ist, wird nicht verstanden oder gesehen. Wir kümmern uns um komplexe Fälle, bei denen verschiedene Bereiche wie Soziale Arbeit und der ambulante Bereich wirklich eng zusammenarbeiten müssen. So etwas gibt es in der Form in der Klinik, geschweige denn in der Aktupsychiatrie, gar nicht. Das ist auch nicht deren Auftrag.

Wir als psychosoziales Zentrum schließen die Versorgungslücken und müssen gleichzeitig dafür kämpfen, dass man unsere Professionalität anerkennt, was wiederum systembedingt zu verstehen ist. Es fehlt da an Aufklärung!

Außerdem zum Thema Abschiebungen:

Ich finde es erschreckend, wie hier in Deutschland damit umgegangen wird. Genauer gesagt meine ich damit meine den Prozess. Die Menschen haben kurz vor der Abschiebung eine zeitliche Anweisung zum Aufenthalt in ihrem Zimmer, in der sie im Wohnheim sein müssen. Dies ist einer rechtlichen Regelung geschuldet, die im letzten Jahr per Gesetz verschärft wurde.

Diesem Stress sind die Geflüchteten meistens nicht gewachsen. Nicht selten endet dies in einem Suizidversuch vor den Augen der Polizisten, die für die Durchführung der Abschiebung verantwortlich sind. Da hilft dann leider nur noch der Krankenwagen bzw. die Feuerwehr.

Folgt der Geflüchtete nicht den rechtlichen Regelungen resultiert daraus automatisch eine strafbare Handlung. Der von Abschiebung bedrohte Geflüchtete bewegt sich folglich in einem „Teufelskreis“.

Die Polizei kommt dann meistens in den frühen Morgenstunden so zwischen drei und sechs Uhr morgens, kein/e Sozialarbeiter*in ist vor Ort. Auch wenn sie versuchen leise zu sein, bekommen andere Bewohner*innen, auch Kinder das mit. Angst macht sich breit, weil auch aufgrund von Sprachbarrieren unklar ist, worum es sich genau handelt. „Frauen weinen, Kinder schreien“, so wird uns häufig berichtet. Das Drama nimmt seinen Lauf!
Eigentlich bräuchten die Polizist*innen dafür einen Durchsuchungsbefehl, aber das wurde alles rechtlich geändert, das ist für die Menschen und die Zeug*innen einer Abschiebung meistens eine menschliche Katastrophe. Der Handlungsbereich der Polizei hat sich da beunruhigend ausgeweitet.

Was Kliniken und das Thema Abschiebung anbelangt, so habe ich verschiedene unschöne Erfahrungen gemacht. Um dem Vorwurf der Abschiebeverhinderung zu entgehen, werden Geflüchtete, die akut suizidal in die Klinik eingeliefert wurden, nicht selten frühzeitig entlassen, je nach „Politik“ der Klinik. Es stand der Ruf der Klinik höher, als der psychisch kranke Mensch, in dem Fall ein Geflüchteter. Das muss man sich mal mit einem deutschen psychisch kranken Menschen vorstellen! Insofern findet an der Stelle auch eine –oft nicht wahrgenommene – deutliche Diskriminierung statt. Ich bitte dann den jeweilig zuständigen Arzt darum, sich vorzustellen, wie er denn handeln würde, wenn es seine/ihre Mutter oder eigener Vater wäre. Meistens macht das dann nachdenklich.

Je nachdem!