In welchem Bereich von Xenion arbeitest du und was sind eure Aufgaben?
Ich arbeite im Bereich der Vereinsvormundschaften. Es gibt bei Xenion einmal den Bereich Akinda, wo die Leute ehrenamtlich arbeiten und ein bis zwei geflüchtete Jugendliche betreuen. Bei dem Bereich der Vereinsvormundschaften ist es so, dass wir hauptamtlich als Vormünder arbeiten. Insgesamt haben wir als Bereich Kapazitäten für 75 Jugendliche und pro Person wären das ca. 20 Jugendliche.
Unsere Aufgabe ist die rechtliche Vertretung der Jugendlichen und wir sind dafür zuständig das Kindeswohl sicher zu stellen. Die Aufgaben reichen von persönlichen Treffen, über das Unterschreiben der Mitgliedsverträge im Fitnessstudio, bis hin zum Stellen von Anträgen.
Die gesetzliche Vorgabe ist: Wir sollen uns mindestens einmal im Monat persönlich treffen, aber bei Bedarf auch häufiger. Manchmal, wenn es viele Notfälle gibt, sieht man sich auch mehrmals pro Woche. Das hängt auch davon ab, ob die Jugendlichen noch andere Familienangehörige da haben, z.B. Geschwister oder Verwandte und welchen Bedarf sie noch nach einer weiteren Bezugsperson haben.
Unser Arbeitsalltag ist eine sehr intensive Mischung aus Büroarbeit und „Feldarbeit“. Wir haben viele Termine bei Ämtern, Treffen mit Jugendlichen, aber auch ganz viel Schreibtischarbeit. Es kann auch sein, dass man gerade am Schreibtisch sitzt, dann das Telefon klingelt und man ganz schnell in irgendein Krankenhaus rasen muss. Während man dann auf dem Weg ins Krankenhaus ist, ruft die Polizei an und sagt einem, dass man einen Jugendlichen dort abholen muss. Also das kann sehr schnell wechseln.
Gibt es auch staatliche Stellen, die Vormünder für unbegleitete Minderjährige vermitteln? Oder läuft das alles über ehrenamtliche Arbeiten oder Organisationen wie Xenion?
Es gibt gerade die Idee des sogenannten Drei-Säulen-Modells. Das wird aber je nach Bundesland ganz unterschiedlich umgesetzt. Hier ist die Idee, dass es einmal ehrenamtliche Vormünder gibt, Vereinsvormundschaften sowie Amtsvormünder. Amtsvormünder und Vereinsvormünder sind eben die hauptamtlichen Vormünder, nur dass einmal eben das Jugendamt der Vormund ist und einmal der Verein. Berlin hatte sich eigentlich bis 2015 ganz auf die Amtsvormundschaften fixiert und erst, als das nicht mehr zu stemmen war, sind die Vereine mit ins Boot geholt worden. Deshalb sind wir auch fest vom Land Berlin finanziert.
Was macht die Arbeit für dich sinnvoll und gab es berührende Situationen, die dich besonders motivieren?
Was die Arbeit sehr anstrengend, aber auch sehr schön macht, ist, dass man sich für Kinderrechte einsetzen kann. Menschenrechte bzw. Kinderrechte muss man sich nicht verdienen, die hat man.
Also hat man als Jugendliche*r auch das Recht auf einen Vormund, das einzige Kriterium dafür ist das Alter. Dieses Recht hat man ganz unabhängig von Gesundheit, IQ, Sympathie oder Gesetzestreue. Das ist sehr schön das umsetzen zu können und sich eben nicht aussuchen zu können, wen man als Mündel bekommt. Bevor man den Gerichtsbeschluss hat, weiß man auch nicht, wer da kommt und hat die Person noch nicht kennen gelernt.
Das ist ein Unterschied zu Jugendhilfeeinrichtungen. Die haben sich auf eine bestimmte Gruppe spezialisiert, die sich durch irgendein Merkmal auszeichnet. Bei uns sind die einzigen Kriterien, dass die Person minderjährig und geflüchtet sein muss. Wir haben eine Bedingungslosigkeit, die schön umzusetzen ist.
Besonders berührend sind außerdem z.B. Familiennachzüge, also wenn die klappen.
Familiennachzüge sind die schönste Art sich selbst abzuschaffen. Es ist halt unglaublich, vor den Eltern zu stehen und zu sagen „Hier hast Du’s wieder“ und das Sorgerecht an sie zurückzugeben.
Asylverfahren, die gut laufen, sind super. Gerade ist z.B. ein Junge als Flüchtling anerkannt worden, bei dem es extrem unwahrscheinlich war. Er kam aus einem Land wo die Anerkennungsquote sehr niedrig ist und er ist unter die paar Prozent gefallen.
Ich kriege seit Tagen nur noch Whatsapp Nachrichten mit Herzchen, Gifs von jubelnden Fußballspielern und Sprachnachrichten wo man nur Kichern hört!
Oder wenn ein Heroinabhängiger, ständig rausfliegender, obdachloser Jugendlicher verspricht sich zu melden, wenn er rückfällig wird. Und es dann auch tatsächlich macht.
Oder auch Jugendliche bei denen irgendwie ein Knoten platzt und sie einen guten Schulabschluss machen, oder wenn auf einmal ein Jahr später jemand mit einem Baby auf dem Arm vorbei kommt, um „Hallo“ zu sagen.
Was müsste politisch passieren damit du deine Arbeit besser machen kannst?
Ich könnte einfach sagen „Bleiberecht für Alle!“
Aber um es ein bisschen realistischer zu machen: Es wäre toll, wenn es zu bestimmten Themen eine klarere Haltung gäbe und Handlungsstrategien absehbarer wären.
Ein Beispiel hierfür wäre die Rechtslage: Es gab und gibt die Rechtsauffassung, dass sich das Recht auf Familiennachzug nur auf die Ausübung der Personensorge bezieht. Deshalb ist es so, dass auch wenn du minderjährig bist und deinen Asylantrag sowie einen Antrag auf Familiennachzug stellst, dieser verfällt wenn du im Verlauf der Verfahren volljährig wirst.
Daraufhin hat der europäische Gerichtshof gesagt, dass das nicht geht und ausschlaggebend sei der Zeitpunkt der Antragsstellung sei. Es kann nicht sein, dass die Bearbeitungsdauer von Behörden darüber entscheidet, ob man seinen Rechtsanspruch gültig machen kann. Da sagt die Bundesrepublik aber „dieses Urteil bezieht sich auf die Niederlande und bei uns ist die ganze Rechtfertigungskette für den Familiennachzug eine andere, deshalb gilt das für uns nicht.“ Da hätte es gerade eigentlich ein Urteil vom Verwaltungsgerichtshof gegeben, das aber wegen Corona vertagt wurde.
(Update: Die Richter*innen des Bundesverwaltungsgerichtes entschieden im April 2020, die Frage ob das Urteil über die Niederlande auch für Deutschland gilt, wiederum an den EuGH zurück zu geben. Deren Entscheidung kann wieder einige Jahre dauern.)